I. Einleitung
Nicht alle bedingungslosen Geldzahlungen sind ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) im engeren Sinn. Um ein BGE im engeren Sinne handelt es sich dann, wenn vier Bedingungen erfüllt sind: Erstens muss die Zahlung allen Menschen zustehen,[1] die ihren Lebensmittelpunkt im Land haben. Zweitens darf es, außer dem eben genannten Formalkriterium des Lebensmittelpunktes, keine Bedingungen geben, an die die Zahlung geknüpft ist. Man darf also das BGE nicht verlieren, wenn man mehr oder weniger Stunden Erwerbsarbeit leistet oder ein bestimmtes Alter oder eine Einkommensgrenze überschreitet. Das dritte Kriterium ist der individuelle Anspruch: Ein BGE steht jeder einzelnen Person als Individuum zu, und nicht etwa ganzen Haushalten. Viertens muss das BGE existenzsichernd sein. Hier ist es sinnvoll, sich an der Armutsgefährdungsschwelle zu orientieren (für mehr Details dazu siehe z. B. Blaschke 2017; Prainsack 2021; 2023).
Viele Menschen haben an diesem Punkt mindestens drei Einwände: Erstens: Sollen wirklich alle ein BGE bekommen, auch Millionär*innen? Wäre es nicht klüger, öffentliche Gelder treffsicher einzusetzen, anstatt sie mit der Gießkanne zu verteilen? Zweitens: Ist ein BGE finanzierbar? Drittens: Wer tut dann noch jene Arbeit, die zwar niemand tun will, die aber doch getan werden muss? Ich möchte auf alle drei Einwände hier kurz eingehen.
II. Warum und wie ein BGE sozial gerecht sein kann
Am ersten Blick ist es tatsächlich nicht einsichtig, warum die Millionärin genauso wie der Hilfsarbeiter ein BGE erhalten soll. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch ersichtlich, dass genau hier das Fundament für Solidarität und Entstigmatisierung gelegt werden kann. Experimente mit bedingungslosen Geldzahlungen haben gezeigt (z. B. Laufer 2019; Tröger/Wullenkord 2020), dass allein die Tatsache, dass das Geld aus einem Topf kommt, auf dem nicht „Arbeitslosigkeit“ oder „Sozialhilfe“ steht, die Betroffenen entstigmatisiert – denn die Existenzsicherung, die sie erhalten, bekommen alle anderen auch. Auf diese Weise kann ein BGE Solidarität stärken. Gleichzeitig kann es das Fundament eines starken Sozialstaates sein, der den Erfordernissen der heutigen Zeit besser entspricht als das Bismarck-Modell, in dem finanzielle Ansprüche vom Erwerbsstatus und anderen Aspekten abhängen, die sich sehr schnell ändern können und für viele nicht navigierbar sind – und auch dadurch zu immer größeren „Löchern“ im sozialen Sicherungssystem führen.
Es ist also wichtig, dass alle das BGE erhalten, egal, ob sie es finanziell gesehen brauchen oder nicht. Genauso wichtig ist es jedoch, dass jene, die es wirtschaftlich nicht benötigen, mehr beitragen als es heute der Fall ist. In anderen Worten: Es ist nicht falsch, allen zu geben – es ist falsch, jene, die mehr Einkommen und Vermögen haben, nicht mehr beitragen zu lassen.
Dabei handelt es sich keineswegs um einen Paradigmenwechsel. Das Bekenntnis zur Armutsbekämpfung gibt es in unserem Land bereits – und ebenso die Befriedigung von Grundbedürfnissen ohne Bedarfsprüfung. Die Millionärin kann das öffentliche Schulsystem, die geförderten Öffi-Tickets und die Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitssystems nutzen, obwohl sie diese Leistungen in finanzieller Hinsicht nicht „braucht“. Auch hier ist die Idee, dass sie – wie alle anderen, die dazu in der Lage sind – an anderer Stelle wieder etwas zurückgibt. Letzteres spielt bei Entwürfen eines solidarischen BGE eine zentrale Rolle: So sehen alle Modelle, die in Österreich derzeit konkret diskutiert werden, eine stärkere Besteuerung von Vermögen vor; viele würden auch hohe Einkommen stärker besteuern (siehe z. B. Akademie BGE 2020; Verein Das Grundeinkommen 2023). Die Millionärin, die genau wie alle anderen Bürger*innen jeden Monat ihr BGE überwiesen bekommt, würde an anderen Stellen – über Einkommens- und Vermögenssteuern – in der Summe also deutlich mehr beitragen, als sie es heute tut.
III. Warum die Finanzierung nicht die zentrale Frage sein sollte
Ein zweiter häufig gehörter Einwand gegen das BGE ist, dass es nicht finanzierbar sei. Dieses Argument ist ideologie- und nicht evidenzbasiert. Finanzierbarkeit ist immer eine Frage des politischen Willens. Der „Staatshaushalt“ ist keine Naturgewalt, die darüber entscheidet, ob für eine Maßnahme genug Geld da ist. Es spricht für sich, dass es bei Vergünstigungen und Steuervorteilen für Großunternehmen geht, meist keine hitzigen öffentlichen Debatten über deren Finanzierbarkeit gibt.
Es geht hier nicht darum, Unternehmen zu verunglimpfen; gerade kleinere Unternehmen würden von einem BGE auch profitieren. Vielmehr geht es um das Sichtbarmachen der Tatsache, dass unser öffentlicher Diskurs mit zweierlei Maß misst: Während Zuwendungen an Unternehmen als „gut für die Wirtschaft“ und damit auch gut für die Menschen gesehen werden, werden direkte Zuwendungen an letztere mit Skepsis betrachtet. Dazu kommt, dass jene, die derzeit von der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft profitieren, mit Horrorzahlen Angst vor dem BGE machen. Der zusätzliche Finanzierungsbedarf wäre über 100 Milliarden Euro, so heißt es – eine astronomische Summe. Dass die tatsächlichen Zusatzkosten aufgrund des Wegfalls anderer Ausgaben[2] sowie des höheren Steueraufkommens durch Einkommens- und/oder Vermögenssteuern eine weit geringere Summe ausmachen würde, wird nur selten erwähnt (siehe etwa Ettl 2021).[3]
IV. Conclusio: Das BGE als Instrument für bessere Arbeit
Kommen wir nun zu einem dritten Einwand gegen das BGE. Wenn Menschen „Geld fürs Nichtstun“ bekommen, so fürchten viele, dann hätten sie keinen Anreiz mehr zu arbeiten. Wer würde dann jene Jobs tun, die sonst niemand tun möchte, auf die die Bevölkerung aber angewiesen ist? Wer würde die Toiletten reinigen?
In bisherigen Studien und Experimenten mit bedingungslosen Geldzahlungen gibt es allerdings keine Hinweise darauf, dass Menschen „faul“ würden. Dort, wo die Erwerbsarbeit geringfügig zurückging, war dies deshalb der Fall, weil etwa junge Männer länger in der Ausbildung verblieben (CBC 2017; siehe auch Gibson et al. 2020). Zudem hat sich gezeigt, dass die meisten Menschen angeben, auch mit einem BGE weiter arbeiten zu wollen.[4] Gleichzeitig sorgen sich viele aber, dass ihre Mitbürger*innen die Erwerbsarbeit niederlegen würden. Dieses Phänomen ist unter dem Begriff der illusorischen Superiorität bekannt. Menschen tendieren dazu, ihren eigenen Charakter und ihre eigenen Fähigkeiten für überdurchschnittlich zu halten. Auch wenn die anderen faul werden, wenn sie ohne Gegenleistung Geld bekommen, so ist man selbst ganz anders geartet.
In bisherigen Studien und Experimenten deutet alles darauf hin, dass Erwerbsarbeit auch weiterhin getan würde. Auch wenn manche Menschen vielleicht ihre derzeitige Arbeitsstelle aufgeben – weil sie den Job, den sie gerade tun, nicht mögen, oder die Arbeitszeiten nicht wirklich vereinbar mit den Betreuungspflichten sind, dann bedeutet das ja nicht, dass diese Menschen allgemein aus der Erwerbsarbeit aussteigen. Es bedeutet nur, dass sie es sich mit einem BGE leisten können, sich die Zeit zu nehmen, die sie brauchen, um eine Arbeit zu finden, die sie gerne und gut tun können. Wenn man davon ausgeht, dass Arbeit – und insbesondere auch Erwerbsarbeit – nicht nur Geld bringt, sondern auch soziale Kontakte, Wertschätzung, und idealerweise auch Sinn stiftet, dann gibt es keinen Grund, zu fürchten, dass in einer Gesellschaft mit BGE plötzlich nur noch alle in der Hängematte liegen. Die Jobs, die keiner tun will, würden weiterhin getan werden – man müsste sie nur besser bezahlen und in vielen Fällen auch die Arbeitsbedingungen verbessern.
BARBARA PRAINSACK ist Universitätsprofessorin für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Wien, wo sie u. a. die Forschungsgruppe Zeitgenössische Solidaritätsstudien und die interdisziplinäre Forschungsplattform Governance of Digital Practices leitet. Ihr letztes Buch, Wofür wir arbeiten, erschien 2023 im Brandstätter-Verlag. Ein neues Buch (mit Margit Appel) Arbeit – Care – Grundeinkommen erscheint im Frühjahr 2023 im Mandelbaum Verlag. Kontakt: barbara.prainsack@univie.ac.at.
Literatur
Akademie BGE (2020): Vergleich der österreichischen BGE-Modelle, online unter: https://www.akademie-bge.at/wp-content/uploads/Doks/BGE-A-Modelle-Vergleich.pdf (letzter Zugriff: 27.09.2023)
Blaschke, Ronald (2017): Wie hoch muss ein Grundeinkommen sein? Oder: Das Regelsatzdesaster, online unter: https://www.grundeinkommen.de/27/01/2017/wie-hoch-muss-ein-grundeinkommen-sein-oder-das-regelsatzdesaster.html (letzter Zugriff: 27.09.2023).
Bohmeyer, Michael (2023): Und es ist doch finanzierbar! Was die DIW-Modellrechnung von anderen Studien unterscheidet, online unter: https://www.mein-grundeinkommen.de/magazin/grundeinkommen-finanzierung-studie (letzter Zugriff: 27.09.2023)
CBC News (2017): World watching as Ontario copies Dauphin income experiment, says economist: Minimum income experiment in small Manitoba town to be revived in three Ontario cities, online unter: https://www.cbc.ca/news/canada/manitoba/ontario-mincome-dauphin-1.4083945 (letzter Zugriff: 27.09.2023)
Ettl, Paul J. (2021): Das „Linzer Modell“ für ein Bedingungsloses Grundeinkommen und seine Finanzierung, online unter: https://www.momentum-kongress.org/system/files/congress_files/2021/das-linzer-modell-forderungen-und-finanzierung.pdf (letzter Zugriff, 27.09.2023)
Gibson, Marcia/Hearty, Wendy/Craig, Peter (2020): The public health effects of interventions similar to basic income: a scoping review. in: The Lancet Public Health 5, 3, 165–176.
Körber Stiftung (2016): Arbeit, Rente, unversorgt? Was uns übermorgen erwartet: Ergebnisse einer repräsentativen forsa-Umfrage zur neuen Lebensarbeitszeit, online unter:
https://koerber-stiftung.de/site/assets/files/22396/2016_arbeit-_rente-_unversorgt.pdf (letzter Zugriff: 27.09.2023)
Laufer, Nora (2019): Was ein garantiertes Grundeinkommen in Finnland brachte, online unter: www.derstandard.at/story/2000107782132/was-ein-garantiertes-grundeinkommen-in-Finnland-brachte (letzter Zugriff: 03.03.2023)
Prainsack, Barbara (2023): Wofür wir arbeiten („What we work for“), Wien: Brandstätter (in German).
Prainsack, Barbara (2020): Vom Wert des Menschen: Warum wir ein bedingungsloses Grundeinkommen brauchen (The value of humans: Why we need a universal basic income), Wien: Brandstätter (in German).
Tröger, Josephine/Wullenkord, Marlis (2020): Psychologische Perspektiven auf Lebens- und Konsumverhältnisse: Bedingungsloses Grundeinkommen – Ein Schlüssel zur Suffizienz?, in: Ökologisches Wirtschaften 4, 20–21.
Verein Das Grundeinkommen, online unter: http://www.das-grundeinkommen.org/p/unser-modell.html (letzter Zugriff: 27.09.2023)
[1] Dies kann man u. a. an den Nachweis binden, dass die Person in einem bestimmten Zeitraum in Österreich hauptgemeldet und auch mehr als die Hälfte der Zeit im Land war etc.
[2] Das BGE würde einige Leistungen ersetzen – wie etwa die Familienbeihilfe (weil auch Kinder ein bedingungsloses Grundeinkommen beziehen würden) oder die Ausgleichszulagen bei Pensionen. Andere Leistungen würden jedoch weiterhin bestehen bleiben, sowohl im Fürsorgebereich, im Versorgungsbereich und im Versicherungsbereich. Siehe auch Akademie BGE 2020.
[3] Für eine Mikrosimulation für Deutschland siehe Bohmeyer 2023.
[4] In einer repräsentativen Umfrage in Deutschland im Jahr 2016 gaben 5 % der Befragten an, ihre Erwerbsarbeit aufgeben zu wollen, wenn sie ein Grundeinkommen von 1.000 Euro pro Monat erhielten. Zugleich vermuteten ganze 22 %, dass andere Menschen aus der Erwerbsarbeit ausscheiden würden. Siehe Körber Stiftung 2016. Selbstverständlich können Antworten auf hypothetische Fragen nicht voraussagen, wie sich die betreffenden Menschen tatsächlich verhalten würden.
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