Obstwiesen in Fußgängerzonen – Eine Vision für Leben, Arbeit und Gemeinschaft im KI-Zeitalter.

VON ROMAN ARRENBERG

Der Beitrag von ROMAN ARRENBERG entwirft angesichts der Gefahren und Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz einen utopischen Raum, der eine Diskussion über neue visionäre Formen von Ökologie und Gemeinschaft ermöglicht.

I. Einleitung: Die Chance der KI: Mehr Lebensqualität statt Leistungsdruck

Eine großartige Zukunft steht der Menschheit bevor – auch wenn sie ihr Glück noch nicht fassen kann. Die Künstliche Intelligenz wird die Arbeitswelt revolutionieren, Millionen von Menschen werden ihre Jobs verlieren – und das ist auch höchste Zeit. Die Menschen brauchen mehr Zeit für ihr Privatleben, um sich wieder um sich selbst kümmern zu können. Anders sieht das offenbar Bundeskanzler Friedrich Merz. Er fordert die Menschen zu mehr Arbeit auf, da sonst der Wohlstand nicht zu halten sei. Dabei ignoriert er, dass Rehakliniken wegen Burnout-Patient*innen überfüllt sind und die meisten Therapeut*innen keine neuen Patient*innen mehr aufnehmen können.

Auch die Produkte, die diese Wirtschaft hervorbringt – nährstoffarme Lebensmittel, Social Media, Marketing – steigern vielleicht das Bruttoinlandsprodukt, aber nicht das Wohlbefinden der Menschen. Wertigkeit ist zur Randerscheinung geworden. Es ist eine Scheinproduktivität. Zwar wird ein kurzfristiger Mehrwert generiert, gleichzeitig entstehen jedoch Verluste an Gesundheit, Lebensqualität und Umwelt, die in der Rechnung nicht auftauchen: Frust, Krankheit, Erschöpfung, Umweltzerstörung. Es soll hier nicht um Friedrich Merz gehen. Nur so viel: Wer sich ausschließlich in elitären Kreisen bewegt, hat vermutlich kein realistisches Bild davon, wie es in weiten Teilen der Bevölkerung wirklich aussieht.

II. Gesundheit und Wohlstand neu definieren

Selbst aus ökonomischer Sicht wäre es sinnvoll, den Menschen mehr Zeit für sich selbst zugeben. Es ist volkswirtschaftlich effizienter, wenn Menschen gleich so arbeiten, dass sie gesundbleiben, als wenn sie sich im Job aufreiben und anschließend teuer gepflegt werden müssen. Würde man den Menschen als Tier betrachten, wären seine aktuellen Lebensbedingungen alles andere als artgerecht. Haltungsform: eins. Die Arbeitsüberlastung führt dazu, dass kaum noch Zeit für gesundheitserhaltende Aktivitäten bleibt – wie eine ausgewogene Ernährung, Bewegung oder soziale Kontakte. Viele Menschen sehen keine andere Möglichkeit, als den Druck durch Konsum zu kompensieren: Shopping, Gaming, Netflix, Zigaretten, Alkohol, Zucker. Diese Konsumformen machen einen großen Teil des Bruttoinlandsprodukts aus – und sind der „Wohlstand“, den Friedrich Merz offenbar schützen möchte. Zumindest macht er keine Anstalten, etwas daran zu verändern. Jetzt, da Künstliche Intelligenz beginnt, immer mehr Berufe zu ersetzen, stellt sich die Frage: Was tun mit der neu gewonnenen Zeit?

Wir müssen Wege finden, diese sinnvoll zu nutzen. Und wir müssen Menschen befähigen, für sich selbst zu sorgen – körperlich, seelisch, sozial und ökonomisch. Doch wer weiß schon, wie Selbstfürsorge wirklich funktioniert? Wie viele kennen die Vorteile von Intervallfasten? Verstehen, was eine ausgewogene Ernährung ausmacht? Können Grenzen setzen? Bewegen sich regelmäßig? Meditieren? Haben von Wim Hofs Atemtechniken gehört? Warum wird all das nicht in einem Schulfach „Gesundheit“ vermittelt? Es geht um echten Wohlstand – nicht um einen rein ökonomischen Begriff, der sich im Bruttoinlandsprodukt widerspiegelt. Dieses meint zwar, Wohlstand zu messen – ist aber von der Erfassung des tatsächlichen Wohls der Menschen weit entfernt.

III. Öffentlicher Raum als Ort der Begegnung und des Miteinanders

Auch der öffentliche Raum muss neu gedacht werden. Wenn Einsamkeit zunimmt, ist es Aufgabe des Staates, Orte der Begegnung zu schaffen. Räume, in denen Menschen sich austauschen, miteinander Zeit verbringen oder einfach nur die Gegenwart anderer genießen können. Denn wir laufen Gefahr, im Sozialverhalten zu verkümmern – womöglich müssen wir Gemeinschaft sogar erst wieder lernen. Heute gilt: Wer in der Innenstadt nichts konsumiert, hat dort nichts verloren. Das schließt viele aus. Es fehlen Grünflächen und Orte zum Verweilen – vor allem solche, bei denen nicht der Konsum im Mittelpunkt steht. In zehn Jahren wird Künstliche Intelligenz dafür sorgen, dass viele Hochhäuser, in denen heute noch Versicherungen oder Verwaltungen sitzen, leer stehen. Das sind doch perfekte Voraussetzungen für Urban Gardening!

Ist es verrückt, sich eine Innenstadt mit einer frei zugänglichen Obstwiese vorzustellen? So groß wie zwei Fußballfelder? Wo Menschen draußen sind, sich bewegen, einander begegnen und sich an Nahrung erfreuen, die ihnen guttut? Maßnahmen wie diese fördern Gesundheit, Gemeinschaft und Lebensqualität. Und wer sich einmal auf diesen Gedanken einlässt, wird sehen, dass es viele Möglichkeiten gibt, den öffentlichen Raum lebenswerter zu gestalten. Grillplätze. Lagerfeuerstellen. Fahrradautobahnen. Überdachte Tische für gemeinsames Essen oder mobiles Arbeiten. Zentrale Sportflächen. Bühnen. Öffentliche Bluetooth-Boxen. Und natürlich: Obstwiesen. Und ganz nebenbei: Wer das Obst von der Wiese am Ende der Straße pflückt, muss es nicht aus Neuseeland, Argentinien oder Südafrika importieren.

IV. Die Transformation der Arbeitswelt und des Grundeinkommens

Jetzt ist der Moment, ernsthaft über diese Zukunft nachzudenken – bevor sie uns überrollt. Der Zeitpunkt ist günstig: Menschen arbeiten zu viel und erzeugen Dinge, die kaum noch echten Wert haben. Gleichzeitig entwickelt sich eine Technologie, die uns von monotonen Aufgaben befreit – ein perfekt getimter Segen. Die Herausforderung liegt in der Umstellung. Neue Tagesstrukturen müssen gefunden werden. Menschen müssen lernen, sich jenseits ihres Berufs zu definieren. Auch die Wirtschaft wird sich anpassen müssen: Wenn alle Unternehmen mit KI günstiger produzieren – was passiert dann mit dem Lohn der Menschen? Wer soll die Produkte noch kaufen? Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird wohl oder übel zur Notwendigkeit werden. Eine tiefgreifende Transformation, die nur schrittweise erfolgen kann – auch kulturell. Ein denkbarer Anfang: Wohnen, Nahrung, Energie – jeder Mensch sollte Zugang dazu haben, unabhängig von Erwerbsarbeit. Quasi eine „bedingungslose Existenzgrundlage“. Wer darüber hinaus konsumieren möchte, kann seine Arbeitskraft flexibel einbringen – ein Punkt, an dem Friedrich Merz und ich uns sogar einig sein könnten.

V. Neue Arbeitsmodelle und eine sinnstiftende Zukunft

Schon heute gibt es KI-Systeme, die den Mitarbeitenden in der Produktion anzeigen, wo gerade ein Engpass herrscht und es zusätzlicher Arbeitskraft bedarf. Ein Beispiel dafür, dass mittleres Management bald überflüssig sein könnte – und ein Modell, das sich auf die gesamte Wirtschaft übertragen ließe. Digital ließe sich erfassen, wo in der Wirtschaft gerade Arbeitskraft gebraucht wird. Eine App könnte anzeigen, ob Hilfe in Gastronomie, Landwirtschaft, Pflege oder Industrie benötigt wird. Niedrige Einstiegshürden, flexible Arbeitszeiten. Wer jetzt sagt, man könne doch nicht einfach in irgendeinem dieser Berufe von heute auf morgen anfangen und, wenn’s einem nicht mehr passt, etwas anderes machen, dem will ich sagen: Da hast du recht. Aber auch nur, weil wir es nicht anders kennen.

VI. Conclusio

Wenn man schon in Schulen damit beginnt, einen umfangreicheren Einblick in die unterschiedlichen Bereiche der Gesellschaft zu vermitteln und dies auch praktisch gestaltet, glaube ich, dass Schüler*innen sehr viel selbstbewusster und fähiger die Schulen verlassen würden. Zudem könnte digital erfasst werden, wer in welchem Bereich wie viel Erfahrung gesammelt hat. Mit dem Prinzip der Gamification könnten die Bürger*innen in verschiedenen Berufen Erfahrungspunkte sammeln, neue Fähigkeiten erwerben und verantwortungsvollere Tätigkeiten im jeweiligen Bereich freischalten. Dabei ist es jedem selbst überlassen, ob er sich auf einen Bereich spezialisieren möchte oder sich breit aufstellt. Besonders anspruchsvolle Qualifikationen könnten weiterhin an Schulen oder Universitäten erworben werden.

Es gibt viele kluge Köpfe, die bereits an Lösungen für die Zukunft arbeiten. Ein positives Bild der Arbeit von morgen ist möglich. Eines, welches bei den Menschen andere Assoziationen weckt, als es heute der Fall ist. Das Gefühl, etwas für die Gemeinschaft zu tun. Spaß daran zu haben, mit anderen etwas zu erarbeiten – ohne Druck, sondern mit Rücksicht auf die Belange des anderen. Und spürbar Wertschätzung zu erfahren. Noch stehen wir am Anfang. Aber der Denkprozess hat begonnen. Erste Ideen werden ausprobiert, neue Konzepte entstehen. Die Zukunft nimmt Gestalt an – und sie sieht vielversprechend aus.

Roman Arrenberg © Roman Arrenberg

ROMAN ARRENBERG

studierte Betriebsiwrtschaftslehre und ist heute Wirtschaftspsychologe und Kaufmann für E-Commerce. Er arbeitet auch als Musiker und Musikproduzent und erstellt Onlineshops und Social-Media-Kampagnen.