Leistbares Wohnen braucht leistungsfähige Politik – VON ELKE HANEL-TORSCH

Womit haben Mieter*innen derzeit zu kämpfen? ELKE HANEL-TORSCH, Vorsitzende der Mietervereinigung Wien, gibt in ihrem Beitrag Einblick in die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen am Wohnungsmarkt.

I. Einleitung

Die Mietervereinigung setzt sich als Interessenvertretung für alle Mieter*innen Österreichs ein und konnte bedeutende Verbesserungen durchsetzen. Als größte Mieterschutzorganisation bietet die Mietervereinigung Beratung, Information und Vertretung in allen Bereichen des Mietrechts. In den letzten Jahren sahen sich Mieter*innen durch Corona-Pandemie und Rekord-Teuerungen mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Angesichts der Entwicklung des Wohnungsmarkts in Österreich und im speziellen in Wien zeigt sich, dass leistbares Wohnen untrennbar mit geeigneten politischen Maßnahmen verknüpft ist.

II. Was macht die Mietervereinigung?

Seit mittlerweile 1911 vertritt die Mietervereinigung die Interessen der Mieter*innen in Österreich und steht ihnen beratend, informierend und vertretend in allen Bereichen des Mietrechts zur Seite. Jahr für Jahr holen die Wohnrechts-Expert*innen der Mietervereinigung in Verfahren rund 3 Millionen Euro für Mieter*innen allein in Wien zurück und führen auch zehntausende wohnrechtliche Beratungen durch. Neben der direkten rechtlichen Unterstützung der Mitglieder arbeitet die Mietervereinigung auch unermüdlich als Interessenvertretung, als starke Stimme im Sinne aller wohnenden Menschen. Praktisch alle wesentlichen Verbesserungen für Mieter*innen in den letzten Jahren gehen direkt auf die Forderungen und die kontinuierliche Arbeit der Mietervereinigung zurück. 2021 konnte die geplante Erhöhung der Richtwert- und Kategoriemieten – mitten in der Pandemie – gestoppt und damit mehr als 1 Million Haushalte vor Mehrkosten bewahrt werden. 2022 wurde der „Wohnschirm“ zur Hilfe bei Mietrückständen – der direkt auf eine Initiative der Mietervereinigung zurückgeht – gestartet.

Durch die Novelle des Makler*innengesetzes, die sich in ihren Grundzügen an der langjährigen Forderung der Mietervereinigung nach einem sogenannten „Bestellerprinzip“ orientiert und mit Juli 2023 in Kraft getreten ist, werden sich wohnungssuchende Mieter*innen künftig mehr als 50 Millionen Euro jährlich an Makler*innenhonoraren ersparen.[1] Die Forderung der Mietervereinigung nach einer Mietpreisbremse wurde seitens der Bundesregierung ausgiebig ventiliert und mündete schließlich am 15. Dezember 2023 in einem „Mietpreisdeckel“, der künftige Mieterhöhungen begrenzen soll.[2] Dazu später mehr. Sehen wir uns zunächst die aktuellen Rahmenbedingungen für Mieter*innen in Österreich, im Speziellen in Wien, an.

III. Wie wohnt Wien?

Die letzten Jahre haben Mieter*innen in Österreich vor große Herausforderungen gestellt. Während der Corona-Pandemie haben viele Menschen ihre Arbeit verloren oder mussten in Kurzarbeit gehen. Viele wussten nicht mehr, wie sie sich die steigenden Mieten noch leisten können. Praktisch nahtlos an die Pandemie knüpfte eine Teuerungswelle an und brachte zusätzliche existenzielle Unsicherheiten. Innerhalb von nur 24 Monaten sind Kategorie-Mieten um 23 Prozent, Richtwert-Mieten um 15 Prozent und ungeregelte private Neubaumieten um bis zu 17 Prozent erhöht worden, die Löhne im Schnitt jedoch nur um 11 Prozent gestiegen.

Gemäß Mikrozensus der Statistik Austria[3] gab es im Jahr 2022 exakt 4.067.500 Hauptwohnsitze in Österreich, die Mietquote betrug 43 Prozent. Auf Wien entfallen 940.000 Haushalte wobei die Eigentumsquote in Wien mit 19 Prozent die geringste in ganz Österreich ist. 78 Prozent der Wiener*innen leben in Mietwohnungen (21 Prozent in einer Gemeindewohnung, 22 Prozent in einer Genossenschaftswohnung und 33 Prozent in einer Mietwohnung im privaten Sektor).  Wie die Statistik weiter zeigt, beliefen sich die durchschnittlichen Wohnkosten in Wien auf 9,1 Euro pro Quadratmeter inklusive Betriebskosten. Teurer war Wohnen für Mieter*innen im bundesweiten Schnitt nur in Vorarlberg, Tirol und Salzburg.

IV. Wenn Wohnen zur Belastung wird

Während Haushalte in Österreich pro Quadratmeter und Monat im Schnitt in Gemeindewohnungen 4,9 Euro Miete und in Genossenschaftswohnungen 5,4 Euro Miete bezahlen, sind im privaten Sektor bereits 7,9 Euro Miete (jeweils ohne Betriebskosten) fällig. Wohnen ist im geförderten Sektor also deutlich günstiger als im privaten. Vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten sind die Mieten im privaten Sektor im Schnitt deutlich stärker gestiegen als die Haushaltseinkommen – das bedeutet, dass ein immer größerer Anteil der Haushaltsbudgets für Mieten aufgewendet werden muss. Im Zeitraum von 2012 bis 2022 sind die privaten Hauptmieten in Wien um 54 Prozent gestiegen, die Tariflöhne allerdings nur um rund 25 Prozent.

Abb. 1: Diese Grafik zeigt die Steigerung der Nettomieten von privaten Hauptmietwohnungen im Zeitraum von 2012 bis 2022 in Österreich. In Wien sind die Nettomieten am stärksten gestiegen, nämlich um 54 Prozent. Musste man 2012 noch 5,40 Euro bezahlen, waren es 2022 bereits 8,30 Euro. In derselben Zeitspanne der Tariflohnindex allerdings nur um 25,5 Prozent gestiegen. Der Tariflohnindex bildet die kollektivvertraglichen Mindestlohnanhebungen ab. In den vergangenen zehn Jahren sind die privaten Mieten in Österreich in jedem Bundesland stärker gestiegen als dieser Index, nur in Salzburg und im Burgenland ist die Abweichung weniger stark.

Für ein Viertel der Haushalte im privaten Sektor machen die Wohnkosten (inklusive Energiekosten) schon mehr als 38 Prozent des Einkommens aus.[4]

V. Höhere Mieten durch befristete Mietverträge

Die Mietervereinigung hat im Herbst 2021 mehr als 1.400 Mitglieder in einer großen, anonymisierten Online-Umfrage[5] zu ihren Wohnverhältnissen befragt. Ein leider wachsendes Problem sind befristete Mietverträge. Fast jeder zweite Mietvertrag im privaten Sektor in Wien ist befristet. Die durchschnittliche Dauer der Befristung beträgt 4,4 Jahre. Das ist in doppelter Hinsicht problematisch. Auf der einen Seite sind befristete Mietverträge im privaten Segment im Schnitt um etwa 130 Euro pro Monat teurer als unbefristete[6]

Auf der anderen Seite schränken Befristungen die Mieter*innenrechte massiv ein. Ein Verfahren auf Durchführung notwendiger Erhaltungsarbeiten gemäß Paragraf 3 Mietrechtsgesetz – zum Beispiel wegen Schimmel oder Schäden an der Gas- oder Elektroanlage – nimmt gewisse Zeit in Anspruch und ist bei kurzen Befristungen etwa gar nicht durchsetzbar. Die bei einer Wohnungssuche drohenden Mehrkosten für Umzug und Kaution führen dazu, dass viele Mieter*innen die ihnen im Mietrechtsgesetz an sich zustehenden Rechte nur mehr eingeschränkt in Anspruch nehmen, um es sich mit dem Vermieter nicht zu verscherzen und die Aussicht auf eine Verlängerung nicht zu gefährden.

Abb. 2: Die Grafik zeigt Daten aus der MVÖ-Umfrage. Die Mehrheit der Mieter*innen mit einem befristeten Mietvertrag hat Wohnkosten von über 900 Euro zu stemmen. Bei einem unbefristeten Vertrag sind das nur 37 Prozent.

VI. Erstarrung des Wohnungsmarkts

Was die Umfrage der Mietervereinigung sehr deutlich gemacht hat, war – scheinbar im Gegensatz zu der erzwungenen Mobilität der Mieter*innen durch Befristungen – eine zunehmende Erstarrung des Wohnungsmarkts. Hauptursache dafür sind die hohen Wohnkosten, die just durch Befristungen im privaten Sektor befeuert werden. Es ist ein „Lock-in“-Effekt zu beobachten: Viele Menschen sitzen in ihrer Wohnung praktisch fest, obwohl sie gerne wechseln würden – etwa in eine kleinere oder in ein Haus mit Aufzug. Doch der Wohnungswechsel ist nicht nur kurzfristig teuer, sondern bringt die Herausforderung mit sich, überhaupt eine leistbare Wohnung mit vergleichbaren Wohnkosten und ohne Befristung zu finden.

Abb. 3: Aus der MVÖ-Umfrage: nur 2 Prozent jener Mieter*innen, die ihre Wohnkosten als angemessen empfinden, waren der Meinung, eine gleichwertige Wohnung zum selben Preis zu finden. 93 Prozent sagen: Nein. Selbst unter jenen, die ihre Wohnkosten als zu hoch empfinden, sind drei Viertel der Ansicht, keine gleichwertige Wohnung zu finden. Nur 13 Prozent glauben, dass das möglich ist.

VII. Conclusio: Forderung nach Reformen

Leistbares Wohnen für Mieter*innen ist, wie die Geschichte zeigt, untrennbar mit geeigneten politischen Maßnahmen verknüpft. Mit anderen Worten: Leistbares Wohnen braucht leistungsfähige Politik. Angesichts der beispiellosen Teuerungswelle der letzten Jahre forderte die Mietervereinigung vehement eine Mietpreisbremse ein. Deren Eckpunkte: Die Mieten sollen nicht öfter als einmal im Jahr erhöht werden und die Erhöhung auf 2 Prozent begrenzt werden; diese Regelung soll für alle Mietverhältnisse gelten.

Abb. 4: Elke Hanel-Torsch © Elke Hanel-Torsch

Im Dezember 2023 hat die Bundesregierung schließlich einen „Mietpreisdeckel“ beschlossen – aus Sicht der Mietervereinigung ist dieser allerdings nur ein Schritt nach vorne und dafür vier Schritte zurück. Ein Schritt nach vorne, weil die Regierung mit ihrem Handeln eingeräumt hat, dass die Miethöhen in Österreich zu einem Problem geworden sind. Vier Schritte zurück, weil erstens selbst nach Jahren keine Lösung für ungeregelte Mietverhältnisse getroffen wurde, dass zweitens Kategoriemieter*innen, drittens Richtwertmieter*innen und viertens Genossenschaftsmieter*innen durch die Umstellung auf eine jährliche Valorisierung systematisch schlechter gestellt werden als in den bisherigen gesetzlichen Systemen, die für Kategoriemieten Erhöhungen erst nach Überschreiten eines Schwellenwerts von 5 Prozent und für die anderen erwähnten Mietverhältnisse Erhöhungen nur alle zwei Jahre vorgesehen hat. Problematisch ist außerdem, dass die ungeregelten Verträge im privaten Sektor, die nur teilweise dem Mietrechtsgesetz (MRG) unterliegen und wo schon jetzt die höchsten Mieten verlangt werden erst gar nicht von dem Paket berührt werden. Wichtig wäre es, im Mietrecht endlich Schritte nach vorne zu machen, eine Reform der Mietrechtsgesetze durchzusetzen und damit bessere Bedingungen für alle Mieter*innen in Österreich zu schaffen: Ein Mietrecht für alle Mietverhältnisse mit echten Preisgrenzen, das Aus für befristete Mietverträge und eine faire Neugestaltung des Betriebskostenkatalogs sind aus Sicht der Mietervereinigung die zentralen Punkte für gerechtes und leistbares Wohnen in Österreich.

ELKE HANEL-TORSCH ist seit 2006 bei der Mietervereinigung tätig. Seit 2016 ist die Juristin Vorsitzende der Landesorganisation Wien.
Kontakt: e.hanel-torsch@mietervereinigung.at


[1] Wirkungsfolgenabschätzung zum Maklergesetz-Änderungsgesetz vom 3.1.2023 online unter: https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/I/1900/fnameorig_1491470.html (letzter Zugriff: 20.01.2023).

[2] Parlamentskorrespondenz online unter: https://www.parlament.gv.at/aktuelles/pk/jahr_2023/pk1411#XXVII_NRSITZ_00247 (letzter Zugriff: 20.01.2023).

[3] Statistik Austria / Wohnen 2022 – Zahlen, Daten und Indikatoren der Wohnstatistik online unter: https://www.statistik.at/fileadmin/user_upload/Wohnen-2022_barrierefrei.pdf (letzter Zugriff: 20.01.2023).

[4] Vgl. zur diesbezüglichen Datenbasis: Statistik Austria / Tabellenband EU-SILC 2022 online unter https://www.statistik.at/fileadmin/pages/338/Tabellenband_EUSILC_2022.pdf (letzter Zugriff: 20.01.2023).

[5] MVÖ-Umfrage „So mietet Österreich“ online unter: https://mietervereinigung.at/News/841/60230/So-mietet-sterreich-Zahlen-und-Fakten-der-gro-en-MV-Umfrage (letzter Zugriff: 20.01.2023).

[6] Berechnungen der Arbeiterkammer Wien online unter: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20220907_OTS0038/ak-teuerungs-check-wohnwahnsinn-befristungen-mietennepp-bei-wohnen-auf-zeit (letzter Zugriff: 20.01.2023).