Autorin AUGUSTA LAAR im Gespräch mit THOMAS BALLHAUSEN über künstlerische Herausforderungen in Zeiten von Corona, medienübergreifende Schreibprozesse und die unerschöpflichen Möglichkeiten von Pop – Textproben inklusive.
0.
In Augusta Laars neuem Lyrikband „knallt“ die sprichwörtliche Party „(bis die augen hören)“: Ganz gemäß den strategischen Lesehilfen von „rmx“ oder „feat.“ legt sie mit Avec Beat ein Buch als literarisches „mixtape“ vor. Die Referenzen reichen dabei nicht nur von Kurt Cobain bis Marshall McLuhan, von Elvis Presley bis John Cale – immer wieder greift Laar auch auf Segmente eigener Texte zurück. Im Ansinnen die Tanzbarkeit von Lyrik erfahrbar zu machen wird Autor*innenschaft als DJ-Praxis realisiert. Das aufgerufene „Schallplattenauflegen“ erlaubt das (Neu-)Erzählen mit gegebenem, ja gefundenem Material. Die Quellen werden zitiert, verändert, verschaltet; Laar macht die Seiten dieses schmalen Bändchens als Räume begreifbar, als dance floors auf denen sich die Gedichte drängen. Über Grenzen von Genres und Sinnerfahrungen hinweg wird in Avec Beat Sehnsucht zelebriert, auf die riskante, nächtliche Weisheit des Körperlichen vertraut: „einmal nur tanzen/auf deinem bildschirm“. Augusta Laars wunderbares Buch ist nicht nur der perfekte Lesestoff gegen die Tristesse und Zumutungen der Gegenwart, es ist vielmehr auch ein perfektes Beispiel für die Lebendigkeit und Vielgestaltigkeit deutschsprachiger Lyrik.
1.
Thomas Ballhausen: Du hast mit Avec Beat einen neuen Lyrikband vorgelegt, der im Corona-Jahr 2020 erschienen ist – und eines meiner literarischen Gegengifte zur Krise war. Wie haben sich die Arbeiten an dem Band gestaltet?
Augusta Laar: Ich habe schon ein Jahr vor Corona mit dem Band angefangen und Texte bearbeitet und zusammengestellt. Aber besonders die Zeit von Herbst 2019 bis Mai 2020 war der Arbeit an Avec Beat gewidmet. Der Titel war von Anfang an da, ich hatte dieses gleichnamige Gedicht als Start- und Anhaltspunkt gewählt und habe dann sowohl neue Texte darauf zu geschrieben, wie auch ältere neu bearbeitet. Da ich dieses schöne Projekt vor mir hatte, habe ich den ersten Lockdown 2020 gut nutzen können, um den Band auszuarbeiten und fertigzustellen, die Überarbeitungen zu gestalten und mich mit den Zeichnungen auseinanderzusetzen.
Ursprünglich war das Buch auf das frühere Black Ink-Format ausgerichtet, mit einem Gedicht pro Seite. Der Verlag hatte sich aber Anfang 2020 entschlossen mit meinem Band eine neue Lyrikreihe zu starten, mit einem neuen Hochformat, aber mit weniger Seiten als das ursprünglich geplante Buch. Dadurch haben sich die Texte verändert, neue Bezüge wurden notwendig, oder ergaben sich einfach von selbst.
Ab dem Frühjahr hatte ja kein Club mehr geöffnet, ich konnte daher auch nicht mehr als DJ arbeiten. Ich habe dann eben (noch) mehr Musik zu Hause gehört, meine Plattensammlung aufgestockt und verstärkt nach Musik im Netz geforscht. In meiner Vorstellung passen die Texte zu bestimmter Musik oder können dazu gelesen werden. Oder es ergibt sich allein durch die Titel, Untertitel und Verweise ein eigener Soundtrack, eine Bewegung. In den späten 1950er Jahren bzw. Mitte der 1960er Jahre gab es die Easy Listening Serie Music to … : Music to watch girls by, Music to listen to records by, Music to drive by, Music to break a lease, Music to read James Bond by u. v. m. Diese und ähnliche Platten(-titel) haben dann eine Arbeitsweise mit echter und fiktiver Musik im Kopf in Gang gesetzt und die Texte nachhaltig beeinflusst, verändert und zueinander in Beziehung gesetzt. Ich hatte ja vorab ein Remix-Bändchen meiner eigenen Texte geplant, habe dann nach dem Angebot für die Veröffentlichung das Konzept erweitert und neue Texte integriert. Das erweiterte Konzept hat mir die Auswahl auch leicht gemacht, da ich ein Hintergrundrauschen, einen Grundbeat für die Texte gestalten konnte.
MU’ ZI:K
(deep house mix)
die hölle die
heilige fahrt
von innen
nach innen
sprengkörper
und ohren
abgeschnitten die
party knallt
abwärts
aufwärts
gefräßig
mit der gitarre
den kopf
abgetrennt
(bis die augen
hören)
2.
T.B.: In welcher Form schreibt sich die Gegenwart – auch, aber eben nicht nur als Herausforderung – in Deine Texte ein?
A.L.: Die erste Entstehungszeit des Bandes war zunächst noch in 2019. Dann gab es die erste Phase Corona in 2020 mit Lockdown, eher eine Zeit des Innehaltens, der Neugier und auch eine in merkwürdiger Hinsicht abenteuerliche Zeit. Wir lebten plötzlich in der Szenerie eines etwas abgestandenen Science-Fiction Films, das war durchaus anregend. Inzwischen haben wir 2020 hinter uns, längst den zweiten Lockdown, der dritte wird bereits prognostiziert, und wir leben den Corona-Alltag. Jarvis Cocker moderierte zuletzt eine Sonntagssendung bei BBC 6 Music mit dem Motto „to bring back the boringness into Sundays“ – den Sonntagen ihre Langeweile zurückgeben. So fühlt sich momentan der Alltag mit Corona an, die Langeweile ist wieder da, permanenter Sonntag in der Provinz: niemanden treffen oder wenn, dann nur vereinzelt im Freien, kein Kino, kein Café, kein Theater, kein Konzert, keine Auftritte, weder als Dichterin noch als Musikerin usw., die Tage ziehen sich hin. Und ich kann der Langeweile durchaus etwas abgewinnen, die Zeit dehnt sich, sie vergeht nicht so schnell, der Schlaf- und Wachrhythmus ändern sich. Die Gegenwart bin ich, sie spiegelt sich aber auch für mich in der Musik und den Alben, die ich hörte und höre und zu meinen Texten in Bezug setze. Dadurch vibriert für mich die Gegenwart in jedem Text, selbst wenn es Musik aus einer Vor-Corona Zeit ist, denn Pop-Musik oder Jazz oder Elektronik ist sowohl Spiegel wie auch Vorbote der Zeit.
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3.
T.B.: Du scheust, was ich sehr wichtig und sympathisch finde, in Deinen Arbeiten nicht davor zurück, Referenzen aus unterschiedlichsten Ebenen zu integrieren. Wie sieht Deine Recherche- bzw. Dein Schreibprozess aus? Wie verhält sich Avec Beat dahingehend zu früheren Arbeiten, etwa Deinem Gedichtband Planet 9?
A.L.: Ich führe ein permanentes Notizbuch, in dem ich Gedankensplitter oder Kurz-Notate festhalte, auch Songtitel, Zitate aus Kunst, Wissenschaft, Musik, Filmen oder Sprachspiele, gefundene Wörter, Zeichnungen, alles was mir interessant vorkommt. Es gibt mehrere dieser kleinen Hefte, die ich mit mir trage, mal das eine oder andere, manches darin wird nie verwertet, anderes findet Einzug in meine Texte. Dann lasse ich mich inspirieren von Intuition zu Intuition, surfe mal da mal dort und finde Wörter oder Szenen, die mich interessieren. Das kann man als eine einzige große Collage sehen, insofern auch ein Akt der bildenden Kunst. Ich arbeite nun zum zweiten Mal mit einem Titel als Anfangspunkt eines Buchs. Bei Planet 9 fiel mir dieser Titel quasi zu, eine Zeitungsnotiz: 2016 finden Astronomen Hinweise auf die Existenz eines möglichen neunten Planeten im Sonnensystem, das hat mich total fasziniert. Es gibt einen neuen Planeten aber wir können ihn nicht sehen, weil er zu weit weg ist, die Astronomen schlossen nur anhand der Bewegungen von Objekten im Kuipergürtel auf die Existenz von Planet 9. Also es gibt ihn, es gibt ihn aber auch nicht. Planet 9 als Astro-Phantom, als poetisches Pop-Phänomen, das hat mich begeistert. Ich habe dann mit dem Titelgedicht begonnen, mit genau dieser Fragestellung, und die restlichen circa fünfzig Gedichte nach und nach dazu entworfen. Es kamen dann ergänzend jeweils zehn Instruktionen und einige Fragmente dazu, die den Zyklus strukturieren und Zäsuren bilden, anstelle von Kapiteln.
PLANET 9
ist vielleicht kein planet
oder er ist es doch – ursache
des dinosaurier sterbens und
auf Twitter: nein Planet 9
wird die erde nicht zerstören
danke der nachfrage – the
worst film of all time: Plan 9
from Outer Space unspeakable
horrors paralyze the living and
resurrect the dead Bela Lugosi
Vampira Lyle Talbot produced
by Edward D. Wood Jr. – es
tut uns leid ein fehler ist
aufgetreten die spitzen enden
der ellipsen zeigen alle in die
gleiche richtung der planetigste
der planeten ist vielleicht kein
planet oder er ist es doch
Die Referenzen zur Pop-Kultur suche ich oft bewusst aus, oft genug fallen sie mir aber auch einfach zu. Ich sehe mich selbst als innerhalb der Pop-Kultur sozialisiert und von ihr geprägt. Pop-mäßig bin ich als Teenager mit Led Zeppelin in der Hitparade aufgewacht, die mein kleines Radio zum Wummern brachten, Popmusik war das erste das anders war als alles was ich kannte, Pop sprach direkt zu mir und den Menschen um mich herum. Musik war ein Weltentwurf. Auf einer Party hörte ich mit 17 eine frühe Platte von John McLaughlin und diese Musik wirkte zutiefst körperlich auf mich. Großartige Erfahrungen, die mich bis heute prägen. Ganz anders als Eltern oder Schule, es ließ mich lebendig fühlen. Zum Pop gehören auch nicht nur Musik, sondern auch Film, Mode oder die Art zu leben, eine bestimmte Haltung eben. Auch ein Café in Venedig, das nach dreihundert Jahren schließen muss, ist für mich Pop.
4.
T.B.: Schon der Titel von Avec Beat macht deutlich, dass Musik und ihre Kontexte für diesen Band von wesentlicher Bedeutung sind. Welche Formen von Musik, Musikalität oder auch Club-Kultur sind da in den Band eingegangen?
A.L.: Für mich war der Umgang und die Beschäftigung mit Musik und Musiker*innen immer der richtige Weg, der mich bereichert und mir Freude gemacht hat. Für Avec Beat habe ich u. a. neue Platten (von 2020) gehört und u. a. Album- oder Songtitel ausgesucht, die für meine Texte passten, oder mich inspirierten, meine Texte umzugestalten, oder meinen Flow als DJ beleuchten, als Untertitel oder dynamische Bezeichnungen wie z. B. deep house mix oder a cappella rmx, oder Titel, Zitate, Bruchstücke davon, die selbst schon gemixed sind oder die ich miteinander kreuze. Es gibt Hinweise auf Bands, die es nicht mehr gibt oder einen safety dance mix. Zitate gibt es als Intro zum Band von Nick Cave (meinem Lehrer an der Schule für Dichtung Wien) und der von mir verehrten Kim Gordon (ex-Sonic Youth). In meiner Arbeit als DJ mixe ich gesprochene Sprache mit Elektronik und Filmmusik, aber auch mit Jazz, Dub und Trip-Hop. Diese Art des Mischens geht auch ein in meine Texte.
SCHALLPLATTENAUFLEGEN
(midnight dance mix)
einer wirft die scheiben
der zweite will tanzen drei
sind am klo die halbe welt
vergisst den nachtisch die
blutsbrüder warten schon
auf den liebesdienst an der
treppe hejho die schallplatten
waren gut sie schmeckten
süß wie sahne & zimt
5.
T.B.: Du bist nicht nur eine sehr aktive Autorin, sondern auch bildende Künstlerin, Musikerin und Veranstalterin. Wie hat sich 2020 hier auf Deine vielfältigen Aktivitäten ausgewirkt? Welche erste Bilanz würdest Du da ziehen, wie ist Dein Ausblick für das kommende Jahr?
A.L.: Mein Buch Avec Beat ist im September 2020 erschienen. Mein größtes Projekt, das 5. Schamrock-Festival der Dichterinnen konnte ich im Oktober 2020 in München zusammen mit meinem Mann Kalle Aldis als hybride Veranstaltung sehr erfolgreich durchführen, das war großartig. Wir hatten Glück, kurz vor dem Lockdown konnten fünfzig internationale Dichterinnen und Musikerinnen bei uns auftreten, live, im Streaming oder per Video. Die Filme dieser Performances sind in Kürze auf unserer Webseite www.schamrock.org zu sehen. Nur der Festival-Teil in Wien musste auf 2021 verschoben werden. Anderes wie Salons, Auflegen in Clubs, Lesungen, Konzerte, Ausstellungen usw. müssen ebenfalls verschoben werden, einige auf unbestimmte Zeit. Vor allem unser Filmfestival female presence muss vorerst ausfallen. Einiges davon wird 2021 stattfinden können, anderes wohl nicht.
Ja, es gibt Verluste, aber 2020 ist nicht das schlimmste Jahr in meinem Leben, und ich bin optimistisch, dass es wieder bessere Zeiten für uns Künstler und Veranstalter geben wird. Es bilden sich auch durch die Online-Möglichkeiten neue Formen, neue Kooperationen, vielleicht sogar eine neue Solidarität. Online-Formate müssen keine Notlösungen sein, sondern können zu brauchbaren Ergänzungen werden, als zukünftig selbstverständlicher Teil unserer Veranstaltungen. Wir bleiben dran. Und ich habe große Lust wieder neue Gedichte über Planeten und Musik zu schreiben.
AUGUSTA LAAR: AVEC BEAT. KURZFORMEN, MISCHUNGEN, LOOPS
Scheuring: Black Ink
40 Seiten | € 8
ISBN: 978-3-930654-42-0
Erscheinungstermin: September 2020
AUGUSTA LAAR ist Künstlerin, Autorin und Musikerin, lebt in München und Wien. Seit 2009 Leiterin der Lesereihe der Schamrock-Salons und seit 2012 des internationalen Schamrock-Festivals der Dichterinnen in München und Wien. Sie ist Teil des Elektro-akustik Duos Kunst oder Unfall mit Kalle Aldis Laar. Zusammen veranstalten sie auch das Schamrock-Filmfestival female presence und den Kunst oder Unfall Salon. Weitere Informationen unter www.poeticarts.de
THOMAS BALLHAUSEN lebt als Autor, Kulturwissenschaftler und Archivar in Wien und Salzburg. Er ist international als Herausgeber, Vortragender und Kurator tätig. Demnächst erscheint sein neues Buch Transient. Lyric Essay (Edition Melos).