Das sozialdemokratische Pressewesen VON HELMUT KONRAD

Der Beitrag von HELMUT KONRAD fasst die Entwicklung des sozialdemokratischen Pressewesens von Die Gleichheit und Der Kampf über die Arbeiter-Zeitung bis hin zur ZUKUNFT zusammen und führt so einen eminent wichtigen Teil der österreichischen Zeitgeschichte vor Augen.

I. Einleitung

In den Anfangsjahren der österreichischen Sozialdemokratie kam dem Pressewesen die zentrale Rolle in der politischen Arbeit der Partei zu. Das Abonnement der Arbeiter-Zeitung galt als Mitgliedsbeitrag, der an die Partei entrichtet wurde. Die über das Medium Zeitung verbreiteten Botschaften gaben die Inhalte vor und strukturierten die Diskussionen. Presseprodukte waren, neben Versammlungen und Kundgebungen, die einzigen Möglichkeiten, politische Anliegen mit der werktätigen Bevölkerung zu einer wirkungsvollen Massenbewegung zu formen.

Um die Einigung der damals in Fraktionen aufgespaltenen, jungen Arbeiterbewegung herbeizuführen, hatte Victor Adler 1886 Die Gleichheit gegründet. Nach deren Verbot und im ersten Jahr der vereinten Sozialdemokratie, erschien die erste Ausgabe der Arbeiter-Zeitung zuerst zweimal im Monat, bald darauf wöchentlich und ab 1895 als Tageszeitung. Rasch wurden täglich 15.000 Exemplare verkauft. Da sich Victor Adler nicht wirklich verantwortlich um eine Tageszeitung kümmern konnte, übernahm der junge Friedrich Austerlitz 1895 die Position eines Chefredakteurs, die er bis 1931 erfolgreich und über die Parteigrenzen hinaus anerkannt, innehaben sollte. Mehr als einmal, so etwa im August 1914 oder aber im Juli 1927, griffen die Leitartikel von Friedrich Austerlitz massiv in den Ablauf der Geschichte ein.

Die Arbeiter-Zeitung genoss Ansehen, auch in bürgerlichen oder konservativen Kreisen. Karl Kraus war Friedrich Austerlitz in wechselseitiger Achtung verbunden, der Kulturteil der Arbeiter-Zeitung wurde breit rezipiert. Die internationalen Kontakte, die Oscar Pollak einbrachte und die sich auf das Netzwerk der Arbeiter-Internationale von Friedrich Adler stützen konnten, machten die Zeitung auch für ein politisch interessiertes Publikum jenseits der Partei interessant.

In den Bundesländern entstanden, in engem Kontakt zur Arbeiter-Zeitung, eigene Parteizeitungen. Diese gab allerdings eindeutig den Ton an. Mit dem zwischen 1907 und 1909 errichteten Vorwärts-Gebäude an der Rechten Wienzeile, hatten Wien und Österreich auch einen repräsentativen Ort, an dem sich die Parteiführung und der Verlag sichtbar ins Stadtbild einschrieben.

Richtete sich die Arbeiter-Zeitung als Tageszeitung an einen breiten Kreis von Leser*innen, weit über die Parteimitgliedschaft hinaus, so entstand 1907 um Otto Bauer, Karl Renner und Adolf Braun mit der Monatsschrift Der Kampf ein theoretisches Blatt, das bis 1934 erscheinen und zum Organ des Austromarxismus werden sollte. Hier publizieren zu dürfen, galt als intellektueller Ritterschlag, und bis heute kann man sehen, wie sehr die dort geführten Diskussionen weltweit in das Feld der Wissenschaft hineinwirkten. In Der Kampf kamen auch praktisch alle Größen der internationalen Arbeiter*innenbewegung zu Wort. Bis heute dienen viele der Beiträge in Der Kampf noch als Grundlage für wissenschaftliche Diskurse.

Mit dem Kleinen Blatt versuchte die Sozialdemokratie auch Menschen zu erreichen, deren primäres Interesse nicht der Politik galt. Julius Braunthal war ab der Gründung im Jahr 1927 der Chefredakteur und sehr bald wurden 200.000 Exemplare verkauft, nicht immer zur Freude der Redaktion der Arbeiter-Zeitung, die sich dadurch in ihrer Verbreitung auf die Funktionär*innenschicht der Bewegung eingeengt sah. Allerdings schrieben im Kleinen Blatt auch die führenden Sozialdemokrat*innen mit.

Die sozialdemokratische Presse konnte in der Ersten Republik zweifelsfrei als politischer Machtfaktor gelten. Die Parteiführung arbeitete in den Redaktionen mit und das Verlagshaus war der Mittelpunkt eines regen Organisations- und Publikationsleben. Die Weltwirtschaftskrise, die Verschärfung der innenpolitischen Auseinandersetzung, die Ausschaltung des österreichischen Parlaments und schließlich die Februarkämpfe beendeten aber letztlich gewaltsam durch die Besetzung des Verlagshauses diese Phase einer intellektuellen und publizistischen Hochblüte. In der Illegalität wurden Der Kampf und die Arbeiter-Zeitung zwar größtenteils aus der Emigration weitergeführt, aber die Massenbasis war bei den Leser*innen weggebrochen. Auch eine sorgsame Gestaltung war nicht länger möglich.

II. Das Auferstehen

Oscar Pollak war die erste Person, die nach Kriegsende 1945 mit einer Sondergenehmigung aus der britischen Emigration nach Österreich zurückkehren durfte. Er kam in doppelter Mission: einerseits wollte die neugewählte Labour-Regierung in London einen verlässlichen Verbindungsmann in Wien, der sich in den Jahren des Exils exzellent mit den führenden Kräften der britischen Partei vernetzt hatte. Und anderseits sollte Pollak die Arbeiter-Zeitung wieder in Schwung bringen, die er seit 1931 als Chefredakteur bereits geleitet hatte. Die britische Regierung erhoffte sich zudem, und das mit Recht, verlässliche Informationen über die Vertrauenswürdigkeit der Regierung Renner, und diese Nachrichten aus Wien machten es letztlich auch möglich, dass London gesamtösterreichischen Wahlen zustimmte. Bald kam Marianne Pollak, Oscars Frau, zu deren Gunsten Oscar Pollak auf die Kandidatur für den österreichischen Nationalrat verzichtet hatte, ebenfalls nach Wien. Vorerst an der Seite von Gabriele Proft, später als Chefredakteurin, leitete sie die Redaktion der Zeitschrift Die Frau und machte diese, die an Die Unzufriedene der Ersten Republik anknüpfte, zu einem breit akzeptierten und viel gelesenen Blatt.

Man sah sich daher in der Redaktion der Arbeiter-Zeitung mehreren Frontlinien gegenüber: dem nicht zimperlichen, konservativen politischen Mitbewerber im Land, der ebenfalls antisemitische Ressentiments zu bedienen wusste, der sowjetischen Besatzungsmacht und einer zumindest ambivalenten Haltung der eigenen Parteiführung gegenüber der Redaktion. Das Verhältnis der „Löwelstraße“ mit der „Rechten Wienzeile“ war sichtlich nicht spannungsfrei. Das machte die Arbeit nicht leichter. Dennoch, die Arbeiter-Zeitung errang rasch wieder große Anerkennung. Ihre Internationalität mit den ständigen Berichten, die das Weltgeschehen kommentierten, ihre gediegene Berichterstattung über Kultur- und Sportereignisse, vor allem aber ihre ideologische Weiterführung der austromarxistischen Grundpositionen aus der Zwischenkriegszeit und die journalistische Qualität der Autor*innen stellten sie sehr rasch wieder in die erste Reihe der österreichischen Presseprodukte. Damit war sie auch das historische Gewissen der Sozialdemokratie.

III. Die ZUKUNFT

Wenige Monate nachdem die Arbeiter-Zeitung wieder erfolgreich gestartet war, wagte man sich unter der Federführung von Oscar Pollak an die Aufgabe, die Tradition des angesehenen theoretischen Organs, der Zeitschrift Der Kampf, wieder aufzugreifen. Im März 1946, also vor 75 Jahren, erschien die erste Nummer einer neuen Zeitschrift mit dem Titel: Die ZUKUNFT– Sozialistische Monatsschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur. Man trat in große Fußstapfen. Wohl hatten Oscar und auch Marianne Pollak schon Beiträge für Der Kampf verfasst und Oscar war am Beginn der ersten Republik sogar Mitglied des Leitungsgremiums, aber nun, in einer Zeit der ökonomischen Not, des Wiederaufbaus, in der wenig Platz für theoretische Diskurse vorhanden war, sich der Aufgabe zu stellen, „…sich über die Welt zu informieren; sich in der heutigen Zeit in sozialistischem Sinn zu orientieren und die Entwicklung der Gesellschaft, insbesondere auch auf geistigen und kulturellen Gebiet zu überschauen“, wie es der Chefredakteur in der ersten Nummer formulierte, war doch ein hoher Anspruch. Gesellschaftspolitisch aufgeklärt und liberal, dazu konsequent antikommunistisch, in Wirtschaftsfragen aber eine Befürworterin des starken Staates, als Organ der „Partei der geplanten Wirtschaft und der menschlichen Freiheit“, so positionierte sich die neue theoretische Zeitschrift. Und sie erwarb sich bald Ansehen sowie einen stabilen Platz im politischen Diskurs.

Karl Czernetz und Alfred Magaziner, zwei von Pollaks Wegbegleitern, wagten den Versuch, mit Die ZUKUNFT, „Menschen zu bilden, sie zu geschultem Denken und dadurch zu wirksamem Handeln zu erziehen.“ Man sah sich „der Vergangenheit und der Zukunft gleich verpflichtet: es gilt zu bewahren und es gilt das Neue zu erkennen.“ Dieser Anspruch, formuliert im ersten Heft der Zeitschrift, war durchaus gewagt. Aber man sah sich auf einem sicheren Fundament in der Tradition des Austromarxismus: Konsequent gegen den Bolschewismus, denn es galt, individuelle Freiheit zu sichern. Aber ebenso konsequent für eine Wirtschaft mit großem Einfluss des Staates, um kapitalistisches Gewinnstreben zügeln zu können. „Sozialismus bedeutet wirtschaftliche Ordnung, um zur Freiheit des Menschen zu gelangen. Er ist starker Staat und freier Geist“, so formulierte es Oscar Pollak in der zweiten Nummer der Zeitschrift.

Die Bedeutung, die Der Kampf zwischen 1907 und 1934 hatte, konnte Die ZUKUNFT nicht erreichen. Dazu fehlten die großen theoretischen Köpfe, vor allem in der Vielfalt, und es waren wohl auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen andere geworden. Die Sozialdemokratie befand sich in einer großen Koalition, es ging um den Wiederaufbau und um das Erringen der vollständigen Unabhängigkeit des Landes durch den Abschluss eines Staatvertrages. Daher lief der politische Diskurs in Österreich im ersten Nachkriegsjahrzehnt nicht allzu kontrovers. Der größere Teil der Personen, die vor 1934 den Diskurs geführt hatten, waren entweder dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen oder kam nicht aus der Emigration zurück – ein Umstand, der manchem in der Parteiführung gar nicht allzu ungelegen kam. Die Rückkehr der „Vertriebenen Vernunft“ wurde zumindest nicht offensiv verfolgt. So konnte Die ZUKUNFT zwar eine angesehene, politische Monatsschrift werden, die herausragende Stellung der Zeitschrift Der Kampf konnte nicht erreicht, ja nicht einmal realistisch ins Auge gefasst werden.

Dennoch, Die ZUKUNFT hielt sich wacker, sogar über jene Zeit hinaus, in der praktisch alle Parteizeitungen Existenzkrisen zu durchlaufen hatten, die sie letztlich nicht überleben konnten.

IV. Die Medienlandschaft stellt sich neu auf

Das Jahrzehnt zwischen dem Kriegsende und dem Abschluss des österreichischen Staatsvertrags kann, trotz der Notwendigkeit das Gemeinsame zu betonen, als Zeitraum der Hochblüte der Parteipresse aller politischen Lager angesehen werden. Ab 1955 wurde es deutlich anders. Die beginnende Wohlstandsgesellschaft mit stärker ausgeprägtem Individualismus führte dazu, dass die richtungsgebende Position der politischen Printmedien zumindest abgeschwächt wurde.

Innerhalb der Sozialdemokratie war es vor allem Franz Olah, gestützt von den „Niederösterreichern“ um Oscar Helmer und durchaus auch Bruno Kreisky, der in den angeblich starren Positionen der Parteipresse und ihrem Festhalten an ideologischen Positionen des Austromarxismus, einen der Gründe für die Wahlniederlage von 1956 erblickte. Mit der Gründung der Wochenzeitung Heute, die ohne starke Parteibindung einen linksliberalen Kurs steuerte, wurde der Versuch gefasst, eine Alternative in der Medienlandschaft zu positionieren. Der erwartete Erfolg blieb aus, das Experiment wurde eingestellt.

Franz Olah ging aber noch einen Schritt weiter. Um die Jahreswende 1958/59 traf er sich mit dem ehemaligen Chefredakteur des Kurier, Hans Dichand, um diesem mitzuteilen, dass er das nötige Geld für die Wiedergründung und für die weitere Finanzierung der alten Kronen-Zeitung aufbringen könnte. Die Geschichte rund um die Finanzierung der Kronen-Zeitung sollte die Gerichte jahrelang beschäftigen, ehe Hans Dichand siegreich aus den Auseinandersetzungen hervorgehen und sein quantitativ eindrucksvolles Medienimperium aufbauen konnte.

Das war zweifellos der Höhepunkt der Umgestaltung der österreichischen Medienlandschaft. Die Parteizeitungen aller politischen Richtungen waren dabei die Opfer. Man konnte und wollte bei dieser neuen Form des Journalismus nicht mitmachen. Zudem begann das Medium Fernsehen, mit der Möglichkeit viel rascher Informationen zu verbreiten, einem Journalismus, bei dem es in erster Linie um die politische Einordnung von Ereignissen, also um Erklärungen und um Aufklärung ging und nicht so sehr um die Schlagzeile, zusätzlich Konkurrenz zu machen.

Die Arbeiter-Zeitung verwehrte sich dem Druck, sich dem Boulevard anzunähern. Der Druck, der letztlich vor allem von Bruno Pittermann ausging, wurde aber schließlich so groß, dass mit dem Jahresende Oscar Pollak die Funktion des Chefredakteurs niederlegen musste. Auch Marianne Pollak schied zeitgleich aus der Leitung der Redaktion von Die Frau aus. Offiziell geschah dies aus Altersgründen (Marianne war 70 und Oscar 68 Jahre alt), der Hintergrund war jedoch, dass aus der Sicht der Parteiführung eine klassische Zeitung in der Tradition des Austromarxismus in den 1960er-Jahren ein Erfolgshindernis zu werden schien. Die Arbeiter-Zeitung wurde ab Jahresbeginn 1962 von Franz Kreuzer geleitet, der etliche Briefe von Oscar Pollak erhielt, in denen dieser auf die journalistischen Fehler und Schwachstellen seines Nachfolgers verwies („…nicht immer nur die Buchstaben zählen, sondern auch ein bissel an den Inhalt denken…“).

Der Niedergang der Arbeiter-Zeitung war aber nicht mehr aufzuhalten. Der Umstieg auf ein Kleinformat, der neue Name AZ und schließlich der Auszug aus dem Vorwärts-Gebäude waren Wegmarken des Abstiegs. Der Verkauf im Jahr 1989 und schließlich die Einstellung 1991 setzten den Endpunkt. 1948 hatte man noch fast 250.000 Exemplare verkauft, zum Zeitpunkt der Einstellung war es deutlich weniger als die Hälfte. Der Kampf gegen die Boulevardpresse war aussichtslos geworden.

Da auch der konservativen parteinahen Presse ein vergleichbares Schicksal bevorstand, fanden sich in den späten 1950er und frühen 1060er-Jahren alte Kontrahenten in wechselseitiger Wertschätzung zusammen. Friedrich Funder, der 1959 verstorben war, vor allem aber Heinrich Drimmel zollten dem langjährigen Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung hohe Anerkennung. Man konnte der neuen Entwicklung in der Medienlandschaft aber nichts mehr entgegensetzen. Oscar Pollak schrieb 1961 in Die ZUKUNFT prophetisch: „Dann wird in Österreich ein weiterer Schritt getan sein zur Entchristlichung des Konservativismus und zur Entseelung des Sozialismus.“

Gleichsam als Trost erhielt Oscar Pollak die Aufgabe, sich weiterhin um Die ZUKUNFT zu kümmern. Er hatte ein zweiwöchentliches Erscheinen ins Auge gefasst und wollte seine ganze Energie der Gestaltung eines attraktiven und qualitativ hochstehenden Presseprodukts widmen. Es war ihm allerdings nicht mehr viel Zeit vergönnt. Im August 1963 starb er während eines Urlaubs in Hinterstoder an einem Herzanfall. Seine Frau Marianne schied zwei Tage später freiwillig aus dem Leben.

Die ZUKUNFT aber existierte weiter, über alle Krisen des Zeitschriftenmarktes hinweg, und es gibt sie erfreulicherweise bis heute. Sie versteht sich noch immer als sozialdemokratische Diskussionszeitschrift, die sich 2021, nach langen Jahren der Leitung durch Caspar Einem, anlässlich des 75. Jahres gerade redaktionell neu aufstellt. Es ist ihr anlässlich dieses Jubiläums zu wünschen, dass sie noch viele Jahre vor sich hat und dass ihre Stimme in der politischen Diskussion weiterhin Gewicht hat.

HELMUT KONRAD ist emeritierter Universitätsprofessor für Allgemeine Zeitgeschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz, ehemaliger Rektor dieser Universität und Vizepräsident des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung. Sein Buch Das Private ist politisch. Marianne und Oscar Pollak erscheint am 13. September im Picus-Verlag.

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