In seinem Beitrag beschäftigt sich LEO XAVIER GABRIEL mit den ökologischen Komponenten des Begriffes „Imperialismus“ und versucht dabei, einen prägnanten Überblick der wesentlichen Elemente desselben wiederzugeben. In Anbetracht der Umweltkrisen und geopolitischen Konflikte des 21 Jahrhunderts geht es vor allem darum, den Begriff „Ökologischer Imperialismus“ neu zu konfigurieren.
I. Die Rückkehr des Begriffs Imperialismus
Mit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine wurde die geopolitische Diskussion nicht nur in den akademischen Bereichen, sondern in der gesamten gesellschaftspolitischen Sphäre neu entfacht. Breite Teile der Bevölkerung, sei es im Gemeindebau oder in universitären Forschungseinrichtungen, diskutieren über dieses sich global auswirkende Ereignis. Die bisher eher in Vergessenheit oder in einen engen akademischen Zusammenhang geratenen Begriffe wie Imperialismus und/oder Frieden werden wieder „entstaubt“.
Die Vorstellung, dass ein „klassischer“ Krieg im Sinne von Panzereinsätzen und anderer orthodoxen Kriegsmittel wiederkehren könnte, war seit dem Jugoslawienkrieg bis vor kurzem für viele Europäer*innen in diesem Ausmaß unvorstellbar. Verständlicherweise hatten die meisten Europäer*innen das Gefühl, dass Krieg im klassischen Sinn für sie eher abstrakt geworden war. Dies war natürlich ein Trugschluss, denn militärische Konflikte waren nie von der Bildfläche verschwunden. So können aus den letzten 10 Jahren z. B. Konflikte in Syrien und im Jemen als Beispiele herangezogen werden. Somit erweist sich die These des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler, dass zwischenstaatliche Kriege unwahrscheinlicher werden und sich dafür andere Konfliktformen verstärken – z. B. Terrorismus – vor allem im Kontext des derzeitigen Ukrainekriegs als unrichtig (Münkler 2011).
Die Verbindung zwischen dem historisch und politisch oft diskutierten Begriff des „Imperialismus“ und Krieg ist dagegen essenziell, da wirtschaftliche und/oder militärische Auseinandersetzungen die Reibungen zwischen den hegemonialen Demarkationslinien der Internationalen Beziehungen äußerst sichtbar machen oder gar verschärfen. Der Ukrainekrieg zeigt par excellence wie sich militärisch-territoriale Frontlinien (z. B. entlang des Dnjepr) bilden und sich diese sinnbildlich zu internationalen Konfliktsituationen bzw. Demarkationslinien entwickeln – der „Westen“ gegen Russland. Man kann also Imperialismus nicht vom Krieg bzw. einer Form des Widerstands gegen einen hegemonialen Anspruch trennen. Dabei ist die Definition von Imperialismus eine sehr vielseitige und hat sich gemäß dem historischen und politischen Kontext differenziert ausgedrückt. Dennoch kann man in der Aktualität den Imperialismusbegriff als eine Art expandierende hegemoniale Form des Kapitalismus, militärisch und ökonomisch angeführt durch die USA, darstellen. Obwohl das Aufkommen von China, Indien und letztlich auch Russland nach einer sogenannten Vorherrschaft der USA, vor allem nach dem Fall der Sowjetunionen, eine Interpretation von einer entstehenden multipolaren Weltordnung zulässt, darf man die immense technologische, militärische und ökonomische Abhängigkeit vieler Länder von den USA nicht außer Acht lassen.
Hier ist es wichtig festzuhalten, dass Expansion nicht gleichzusetzen ist mit Imperialismus. Entgegen der medialen Meinung und Putins selbst angedeuteten Diskurses über ein russisches Großreich stellt das Vorhaben einer territorialen Expansion, aus welchen Gründen auch immer, nicht notwendigerweise eine unmittelbare Evidenz für einen neuen Imperialismus dar. Die militärischen Verluste und Schwierigkeiten während des Angriffs auf die Ukraine und die ökonomische Schwäche Russlands sind sicherheitspolitische Evidenzen, dass die Angst vor einem russischen Großreich bzw. einer Großmacht unbegründet ist. Ebenso wenig ist jede militärische Intervention, wie z. B. der Irakkrieg oder der Krieg in Afghanistan, automatisch ein Ausfluss sich entfaltender Vorherrschaft bzw. internationaler Stärke. Diese Einsätze resultierten eher aus einer Schwäche der USA, insbesondere der Administration von G. W. Bush, und nicht aus ihrer Stärke (Harvey 2003: 255).
Der Abzug der US-Truppen aus Afghanistan 2021, ähnlich wie der aus Vietnam, zeugten wiederum genauso von der politischen Schwäche dieser imperialistischen Politik. Letzteres war eine eindeutige Demonstration, dass das 20-jährige Nation-Building-Projekt in Afghanistan gescheitert war und somit gerade die politischen Schwächen der gesamten Operation aufgezeigt hatte. Bei der Irakinvasion handelte es sich zwar um eine intendierte globale Machtdemonstration, die aber von den traditionellen Bündnispartner*innen, wie Deutschland, nicht mitgetragen wurde. Ebenso traf der US-Einmarsch auf immensen gesellschaftlichen Widerstand an der Heimatfront, wobei anzumerken ist, dass der Einmarsch von vornherein aus der innenpolitischen Schwäche der Bush-Administration resultierte, da sich die USA im Hintergrund in einer tiefen sozioökonomischen Krise befanden (Harvey 2003: 20).
Die Interpretation, was Imperialismus im 21. Jahrhundert ist, hängt ebenso von den unterschiedlichen theoretischen Zugängen ab. Beispielweise kann man aus einer feministischen Perspektive patriarchale Strukturen als wichtigen Bestandteil des „Imperialismus“ sehen. Dasselbe gilt für postkoloniale Perspektiven, indem Imperialismus eine neokoloniale Struktur ist, in der sich das Verhältnis zwischen Peripherie (Globaler Süden) und kapitalistischen Zentren (Globaler Norden) durch neokoloniale Ausbeutung von Ressourcen, Menschen und Natur kennzeichnet.
Hier möchte ich anknüpfen und in Anbetracht der immanenten Klimakrise auf die ökologischen Seiten des Imperialismus eingehen.
II. Zum Begriff „Ökologischer Imperialismus“
Der Begriff ecological imperialism (Ökologischer Imperialismus) wurde erstmals von Alfred W. Crosby (1986) verwendet. Die Kernaussage Crosbys beruht darauf, dass der europäische Kolonialismus nicht nur militärischer, sondern auch biologischer Natur war. Die Verwendung des Begriffs ecological ist in diesem Fall jedoch irreführend, da Crosby ihn mit biologischen Dynamiken gleichsetzt. Beispielsweise greift er die Frage auf, warum europäische Tierarten sich stärker ausgebreitet haben. Nichtsdestotrotz ist die Verbindung zwischen biologischen Elementen und dem politischen Begriff des Imperialismus ein wichtiger Baustein für die Redefinition des Wechselspiels zwischen Ökologie und Imperialismus im 21. Jahrhundert.
Die europäische Expansion führte also, militärisch gesehen, zu Missionierung, Ausbeutung und Genozid. So fand eine kompromisslose Ausbeutung der Ressourcen wie Gold, Silber und pflanzlichen Rohstoffen statt sowie die Implementierung von großflächiger Plantagenwirtschaft und die Durchsetzung der großbetrieblichen, exportbestimmten Monokulturen wie Rohzucker, Kaffee und Bananen, sowie zur Errichtung von weltweitem Sklavenhandel. Schließlich wurde die Etablierung der imperialistischen Diskurshoheit über Entwicklung – Unterentwicklung durch Abhängigkeit, Aneignung und Ausbeutung der Natur gelöst. Crosby führt eine weitere Ebene ein, und zwar, dass biologische Organismen, sprich europäische Flora und Fauna bzw. Krankheiten, ebenso im globalen Süden verbreitet wurden. Crosby versinnbildlicht die Konsequenzen dieser kolonialen Verbreitung, indem er beschreibt, dass die landwirtschaftlichen Exportprodukte, von denen die europäische Agrarindustrie aktuell abhängig ist, maßgeblich aus Ländern stammen, in denen diese vor ihrer Kolonialisierung nicht existent war z. B. Weizen, Gerste, Soja, Schweine, Rinder, Ziegen usw. (Crosby 1986: 7). Crosbys Fokus auf die biologische Eroberung von Territorien durch Ausbreitung von europäischen Organismen und Krankheiten ist aus einer neokolonialen theoretischen Perspektive kritisch zu betrachten, jedoch weist er mit dieser Analyse auf eine wichtige Tatsache für die Begriffsdefinition des Ökologischen Imperialismus im 21. Jahrhundert hin: die negativen Umweltkonsequenzen durch imperialistische Handlungsweisen von Staaten.
III. Ökologischer Imperialismus in der Aktualität
Die Definition des Ökologischen Imperialismus für das 21. Jahrhundert möchte ich in diesem Beitrag (kurz) unter drei Facetten subsumieren. Die erste Form eines Ökologischen Imperialismus ergibt sich aus der Kritik des Globalen Südens an internationalen Umweltregulationen, die vor allem dem Globalen Norden zugutekommen. Dies, obwohl der Globale Norden historisch z. B. der klare Treiber der Klimaerwärmung durch einen eindeutig höheren CO2-Ausstoß war, also die wesentliche Verantwortung für den Klimawandel trägt. Das aktuelle Bemühen der Industriestaaten um eine klimagerechte Politik und die diskursiven Darstellungen über Klimaagenden sind zwar begrüßenswert, verkennen aber die bereits aufgezeigte (koloniale) Vorgeschichte. Daher handelt es sich bei der Umweltkrise nicht um ein neuartiges Problem, sondern um imperiale Machtverhältnisse, die globale Klimaveränderungen vorangetrieben haben und tief in der (neo-)kolonialen Politik des „Westens“ verwurzelt sind – wobei man hier anführen kann, dass die Umweltpolitik Chinas oder Russlands nicht wesentlich nachhaltiger ist. Der Ökologische Imperialismus, von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist nicht per se staatengebunden, sondern eine politisch-ökonomische Struktur, die kapitalistischen Zwängen (Kapitalakkumulation) unterworfen ist. Somit ist die neoliberale Markthörigkeit Teil eines globalen Ökologischen Imperialismus, der auf der Kontrolle der Naturverhältnisse basiert (Görg 2004: 103).
Die zweite Facette des Ökologischen Imperialismus dreht sich um die Subjektivierung und Interpretation des Begriffes „Natur“. Es stellt sich die Frage, was überhaupt als Natur/Umwelt gilt. Die imperialistische Naturdeutung basiert auf der Erstellung einer Binärität von Natur und Gesellschaft. Dies führt zu der Problematik, dass man auf selektive Weise Klimaprobleme lösen möchte, aber die soziale Komponente, also die Gesellschaften, nicht berücksichtig. Die negativen Auswirkungen der Ausbeutungen der Bevölkerung in den jeweiligen Regionen wird vollkommen ausgeblendet. Dadurch entstehen rein technologisch „innovative“ Lösungsvorschläge, die wiederum in die imperiale Verwertungslogik eingegliedert sind. Beispiele wie die Ausbeutung von Lithium- und Kobaltvorkommen in Chile oder dem Kongo zeigen eine solche selektive Klimalösung. Ebenso werden romantische Vorstellungen gehegt, dass man um jeden Preis „unberührte“ Landschaften im Globalen Süden schützen muss. Das Romantisieren der Natur als nicht bewohnter Ort – z. B. Naturparks – wird von vielen indigenen Organisationen abgelehnt. Zum einen werden indigene Gemeinden aus ihren Territorien vertrieben und zum anderen kommt es zu einem massiven „Ökotourismus“, der militärisch beschützt wird. In dieser Nuance geht es im Kern des Ökologischen Imperialismus um die Entzweiung von Natur und Mensch anstatt – so wie viele Subalterne fordern – Mensch und Natur als Ganzes zu betrachten und nicht als Widerspruch zueinander.
Die dritte Form des Ökologischen Imperialismus betrifft die geopolitische Facette. Die Frage, wie man Umweltproblematiken löst, wird nicht in einen Nachhaltigkeitsdiskurs eingebettet, sondern zunehmend in einen geopolitischen Diskurs. In der Aktualität ist dies leicht zu erkennen: der Versuch, sich von russischen Gaslieferungen zu emanzipieren, ist keine Frage des Umweltschutzes, sondern eine sicherheitspolitische Angelegenheit. Jedoch ist diese Tendenz nicht neu, sie wurde durch den Ukrainekrieg nur verschärft. The geopolitics of climate change heißt ein Artikel des Klima-Kommissars der EU-Kommission, Frans Timmermans, und des EU-Außenbeauftragten, Josep Borrell, (Timmermans/Borell 2021) zu diesem Thema. Die EU-Agenda, die den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen vorantreiben soll, um eine Energiewende hin zu grünen Zukunftstechnologien einzuleiten, wird nebensächlich mit der verheerenden Klimakrise argumentiert. Im Zentrum der Argumentation steht die Machtverschiebung weg von externen Energieversorgern, denn hiervon wird eine gewisse Unabhängigkeit von Russland und China erwartet (ebd. 2021):
„In particular, the transition itself will drive power shifts away from those controlling and exporting fossil fuels, and toward those mastering the green technologies of the future.“
Abschließend ist es wichtig festzuhalten, dass für weitere Analysen in Bezug auf Begriffe wie Imperialismus eines wesentlich ist: Das aktuelle geologische Zeitalter heißt Anthropozän. Diese Tatsache stellt sämtliche geopolitischen Analysen auf den Kopf. Es geht in erster Linie nicht um die Frage, wie Gesellschaften oder Länder auf klimatische Veränderungen reagieren. Vielmehr geht es darum, die Frage zu stellen, wie geopolitische, geoökonomische und geoökologische Entscheidungen unsere Umwelt (Mensch und Natur) prägen und zukünftig verändern werden.
LEO XAVIER GABRIEL
hat an der Fernuni Hagen und der Universität Wien Politikwissenschaft studiert. Sein Schwerpunkt ist kritische Geopolitik, ökologische Geopolitik und Internationale Beziehungen. Er ist Mitherausgeber/Autor des Sammelbandes „Zur imperialen Lebensweise“.
Literatur
Crosby, Alfred W. (1997): Ecological imperialism. The biological expansion of Europe, 900-1900,
Reprinted, Canto ed. Cambridge: Cambridge Univ. Press.
Harvey, David (2003): The New Imperialism, Oxford: Oxford University Press.
Münkler, Herfried (2011): Die neuen Kriege, Leipzig. Rowohlt.
Görg, Christoph (2004): Ökologischer Imperialismus: Ressourcenkonflikte und ökologische
Abhängigkeiten in der neoliberalen Globalisierung, in: Zeitschrift: Widerspruch: Beiträge zu
sozialistischer Politik Band (Jahr): 24 (2004), Heft 47, 95–107.
Timmermans, Frans/Borrell, Josep (2021): The Geopolitics of Climate Change by Frans
Timmermans & Josep Borrell – Project Syndicate, online unter:
https://www.projectsyndicate.org/commentary/eu-geopolitics-of-climate-change-by-franstimmermans-1-and-josep-borrell-2021-04 (letzter Zugriff: 01.09.2022).
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